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Lis Füglister, Stellenleiterin Berner Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt

Lis Füglister (48) hat sich schon früh für Friedensarbeit interessiert. Nun setzt sie sich mit einem kleinen Team und einem grossen Netzwerk dafür ein, dass häusliche Gewalt gestoppt, Opfer geschützt und Gewalt ausübende Personen zur Verantwortung gezogen werden.

«Morgens um 7 Uhr sitze ich mit der Familie am Frühstückstisch. Dies ist für uns ein wichtiger Moment, bevor wir Richtung Schule und Arbeitsplatz aufbrechen. Ebenso wichtig, ja schon fast ein Ritual, ist mir die rund 15-minütige Velofahrt von Bümpliz in die Berner Altstadt, wo sich mein Büro befindet. Für den Arbeitsweg benutze ich den öffentlichen Verkehr nur in Ausnahmefällen.

In der Berner Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt BIG sind wir zu dritt, wobei wir alle Teilzeit arbeiten. Deshalb gibt es jeden Tag eine andere Konstellation, und entsprechend abwechslungsreich ist der Einstieg in den Arbeitstag. Bereits während der Computer startet, tauschen wir uns darüber aus, welche Arbeiten aktuell anstehen.

Die BIG wurde 2002 lanciert und später in die Sicherheitsdirektion SID eingegliedert. Seit fünf Jahren ist sie ein eigenständiges Geschäftsfeld des SID-Generalsekretariats. Unsere übergeordnete Zielsetzung lautet: Häusliche Gewalt stoppen, Opfer schützen, Täter zur Verantwortung ziehen. Das erreichen wir nicht allein, sondern im Verbund mit verschiedenen Organisationen und Stellen. Unser Netzwerk erstreckt sich über den ganzen Kanton und darüber hinaus. Dazu gehören unter anderem Opferberatungsstellen, Frauenhäuser, Polizei, Schulen und NGO wie zum Beispiel Migrationsberatungsstellen. Die Vernetzung ist die Basis, um Wirkung erzielen zu können. Ich habe mich schon früh für Menschenrechte und Friedensarbeit interessiert und ein Nachdiplomstudium in Mediation und Konfliktarbeit absolviert. Teil eines grossen Netzwerks zu sein, das sich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzt und Massnahmen dagegen ergreift, ist die grösste Freude an meiner Arbeit. Alle Beteiligten sind sehr engagiert, wir unterstützen uns gegenseitig.

Häusliche Gewalt kann überall vorkommen und alle betreffen. Sie hat unterschiedliche Formen: physisch, psychisch, sexuell oder wirtschaftlich. Im vergangenen Jahr rückte die Kantonspolizei Bern im Durchschnitt vier Mal pro Tag wegen häuslicher Gewalt aus. Grob gesagt, ist die Fallzahl auf hohem Niveau stagnierend – sowohl im Kanton Bern als auch schweizweit. Die verschiedenen Zahlen weisen wir jeweils in unserem Jahresbericht aus. Bei den sichtbaren Fällen sind 75 Prozent der Tatpersonen männlich. In mehr als 60 Prozent der Fälle sind Kinder mitbetroffen. Der grösste Teil der Fälle, die publik werden, ist physischer Natur, aber auch in psychischer Form ist häusliche Gewalt sehr beeinträchtigend. Häusliche Gewalt sieht man häufig lange Zeit nicht. Und die Dunkelziffer ist nach wie vor ziemlich hoch.

Unsere Arbeit betrifft einerseits den präventiven und andererseits den operativen Bereich. Bei der Prävention geht es um Sensibilisierung und zielgruppengerechte Information. Die BIG lanciert Kampagnen oder organisiert Anlässe. Im operativen Bereich geht es um Gewaltberatungen und Lernprogramme, also um die Arbeit mit den Tätern. Dabei soll ihnen bewusst werden, wie sich ihr Verhalten auf die Opfer auswirkt, sie üben Ausstiegsszenarien und lernen, Konflikte gewaltlos zu lösen. Unsere Stelle ist wie eine Drehscheibe: Wir nehmen Anmeldungen von Personen oder Institutionen entgegen, erledigen die Administrations- und Fallführungsarbeiten und geben das entsprechende Mandat einer externen Beraterin oder einem externen Berater aus den Bereichen Sozialarbeit, Psychologie oder Forensik. Die Mandatsträger sind quasi Teil unseres Teams. Die Täterberatung ist ein wesentlicher Teil des Opferschutzes, ihre Bedeutung nimmt stetig zu. Oberstes Ziel ist es, weitere Gewalttaten zu verhindern.

Mit den Massnahmen, die uns zur Verfügung stehen, wollen wir eine möglichst grosse Wirkung erzielen. Ein Teil der Wirkung ist, dass das Thema häusliche Gewalt stärker an die Öffentlichkeit gelangt. Das ist ein Erfolg, über den wir uns natürlich freuen. Andererseits führt diese stärkere Sichtbarkeit, zum Beispiel in Form von mehr Medienberichterstattung über häusliche Gewalt, zur Erkenntnis, dass wir noch mehr machen müssten. Diese Diskrepanz zu sehen und auszuhalten, ist herausfordernd. Dazu kommt die Schwierigkeit, die Wirkung zu messen. Es gibt zwar verschiedene Parameter, die wir messen und ausweisen können, beispielsweise wie viele Personen eine Beratung in Anspruch genommen haben. Ein richtiger Erfolg wäre es jedoch, sagen zu können, dass wir so und so viele Fälle verhindern oder die Anzahl der Fälle um so und so viele Prozent verringern konnten. Doch weil es nach wie vor eine hohe Dunkelziffer gibt, ist dies schwierig. Wir können oft nur Schätzungen machen.

Alle sollen wissen, dass es diverse Unterstützungsmöglichkeiten gibt, wenn man selber von häuslicher Gewalt betroffen ist oder wenn man eine Person kennt, die davon betroffen ist. Das ist mir ein grosses Anliegen. Es ist wichtig, diese Angebote zu nutzen und sich beraten zu lassen. Denn das Problem häusliche Gewalt löst sich nicht von allein.»

Aufgezeichnet von Philippe Blatter

Bild: Adrian Moser 

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