Seinen Job gibt es bisher in der Schweiz erst im Kanton Bern: Marc Ali (36) ist seit einem Jahr Leiter der Koordinationsstelle Fahrende. Die Koordinationsstelle Fahrende ist die erste Anlaufstelle bei Fragen zur fahrenden Lebensweise im Kanton Bern. Dazu steht Marc Ali in engem Kontakt mit unterschiedlichsten Behörden von kommunaler bis nationaler Stufe sowie mit Vertretern der Jenischen, Sinti und Roma.

«Morgens um 7 Uhr bin ich meist mit dem Velo unterwegs zu meinem Büro. Es befindet sich im Amt für Gemeinden und Raumordnung bei der Nydeggbrücke in Bern. In den Sommermonaten bin ich oft nur am Morgen kurz im Büro. Ich bin viel unterwegs und führe vor Ort Gespräche. Etwa, wenn sich ausländische Fahrende unerlaubterweise auf einem Grundstück niederlassen und es viele Fragen zu klären gibt. Ich besuche die bestehenden Halteplätze und schaue, wies da läuft, rede mit den verschiedensten Beteiligten und eruiere Handlungs- sowie Optimierungsbedarf. Wenn beispielsweise wie in Erlach oder Herzogenbuchsee neue Halteplätze entstehen, dann sind da Fachleute des Kantons am Werk, beispielsweise Raumplaner und Ingenieure. Zurzeit bestehen sechs definitive Halteplätze für Schweizer Fahrende im Kanton Bern: in Jegenstorf, Thun-Allmendingen, Brienz, Biel, Bern Buech und Belp. In Herzogenbuchsee, Muri b. Bern und Erlach sind weitere geplant oder in Realisierung. In Wileroltigen entsteht bis voraussichtlich 2025 ein Transitplatz für ausländische Fahrende.
Ich arbeite nun seit einem Jahr als Leiter der Koordinationsstelle Fahrende. Diesen Job gibt es bisher in der Schweiz nirgendwo in gleicher Form. Dabei gibt es so einiges zu tun. Herausfordernd ist, dass die fahrende Lebensweise eine Querschnittsaufgabe für die Behörden darstellt. Gemeinsam müssen verschiedene Stellen dabei raumplanerische, soziale, schulische, rechtliche und wirtschaftliche Fragen behandeln und Lösungen miteinander koordinieren. Die Jenischen, die Sinti und die Roma treten dabei nicht geeint auf und haben als kleine nationale Minderheiten eine schwache eigene Lobby. Der steigende Nutzungsdruck auf bisher unbebaute Flächen macht es zudem immer schwieriger, Raum für die fahrende Lebensweise zu finden. Nachhaltige Lösungen können somit nur im Verbund zwischen Gemeinden, Kantonen und dem Bund unter Miteinbezug von Vertreter/innen der fahrenden Lebensweise erarbeitet werden.
Ich bin zu 80 Prozent angestellt und muss aufgrund des breiten Aufgabenspektrums Prioritäten setzen. Die Koordinationsstelle dient im Kanton Bern als erste Ansprechstelle, wenn es um Fragen zur fahrenden Lebensweise geht. Dabei geht es vor allem auch darum, den verschiedensten Anspruchsgruppen zuzuhören, sie zusammenzubringen und zu vernetzen. Dazu zählen selbstverständlich die Jenischen, Sinti und Roma, kantonsinterne Stellen der DIJ, SID, BKD, GSI, WEU und BVD, externe Gruppen wie die Städte und Gemeinden, der Bund, Interessengruppen sowie private Grundeigentümerschaften. Eine kantonale Arbeitsgruppe Fahrende besteht bereits seit längerer Zeit. Mir gelang es, sie im letzten Jahr zu erweitern und neu auszurichten. So gibt es neu einen Ausschuss sowie eine Kontaktgruppe für Betreiber/innen von Halteplätzen. Es ist nicht der Kanton, der die zehn Halteplätze im Kanton betreibt, sondern die Gemeinden. Der Kanton unterstützt diese dabei. In dieser neuen Kontaktgruppe können sich nun die Platzbetreibenden regelmässig zu operativ-technischen Betriebsfragen austauschen. Das wird sehr geschätzt, wie erste Rückmeldungen zeigen.
Die Reisesaison der Fahrenden findet jährlich ungefähr von März bis Ende Oktober statt. Die Schweizer Jenischen und Sinti reisen während dieser Zeit durch die Schweiz und bleiben dabei mehrere Wochen auf einem Durchgangsplatz. Von dort aus gehen sie dann verschiedenen Arbeiten in der Region nach, wie beispielsweise Restaurationen von Häusern, Maler- und Gartenarbeiten sowie Handel mit Alteisen. Die Wintermonate verbringen sie in der Regel auf Standplätzen. Fahrende Roma aus dem Ausland kommen indes immer früher in die Schweiz, manchmal schon im Februar. Unerwünschte Landnahmen, namentlich durch französische Roma, haben sich gehäuft und bergen immer ein Konfliktpotenzial. In dieser Saison waren es bisher bereits fünf unerwünschte Landnahmen, die allesamt mit einem grossen Aufwand für die betroffenen Grundeigentümerschaften, Gemeinden und Behörden einhergehen. In Bern etwa machten ausländische Fahrende letzten Frühling an der Wölflistrasse Halt. Dieser provisorische Halteplatz ist aber von Mai bis Oktober eigentlich Schweizer Fahrenden als Durchgangsplatz vorbehalten. Wir führten intensive Gespräche und konnten schliesslich einen Kompromiss erzielen: Gegen Bezahlung konnte die Gruppe ausländischer Fahrender bis kurz vor der BEA-Eröffnung bleiben. In der Region Biel, wo es seit Jahren zu Konflikten gekommen war, können sich seit Mai ausländische Fahrende offiziell auf einem provisorischen Transitplatz im Bözingenfeld niederlassen. Die Situation hat sich dadurch in der ganzen Region deutlich entschärft. Das freut mich sehr und ist auf das grosse Engagement der Stadt Biel, des Regierungsstatthalteramts sowie der Kapo zurückzuführen.
Bis vor einem Jahr habe ich beruflich etwas ganz anderes gemacht: Ich habe Staatswissenschaften studiert und als Berufsoffizier gearbeitet. Nach rund zehn Jahren Einsatz für die Schweizer Armee war ich auf der Suche nach etwas Neuem, nach wie vor Sinnstiftendem, das auch weiterhin der Gesellschaft einen Mehrwert bringt. Das habe ich definitiv gefunden. Ich interessiere mich sehr für die Lebensweise der fahrenden Jenischen, Sinti und Roma sowie für geschichtliche und kulturelle Fragen. Ich beobachte, dass viel Unwissen und Vorurteile Fahrenden gegenüber herrscht. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Ausdauer und Energie der Jenischen, Sinti und Roma, sich für ihre Lebensweise einzusetzen und dafür zu kämpfen, bewundere ich. Das ist mit viel Einsatz verbunden, denn unsere Gesellschaft ist eindeutig auf die sesshafte Bevölkerung ausgerichtet. Als Behörde haben wir aber den Auftrag, uns auch für die Bedürfnisse der national anerkannten Minderheiten einzusetzen. Ich wünsche mir, dass Angehörige der sesshaften und fahrenden Lebensweise mehr Offenheit an den Tag legen und auch bereit sind, ihre eigenen Vorstellungen und Traditionen kritisch zu hinterfragen. Nur so kann ein gemeinsames Zusammenleben in einer sich stetig verändernden Welt zukünftig besser gelingen.»
Aufgezeichnet von Catherine Arber
Bild: Adrian Moser
Veröffentlicht am 31.8.2023