Hans-Peter Hauenstein unterstützt beim Amt für Arbeitslosenversicherung RAV-Kundinnen und -Kunden zwischen 50 und 62 Jahren bei der Suche nach einem neuen Job. Er bringt sie mit Persönlichkeiten aus der Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung zusammen, die frischen Wind in ihre Bewerbungsstrategie bringen.

«Um 7 Uhr sitze ich im Zug vom Oberland her nach Bern. Ich schaue auf meinem Tablet den Krimi vom Vorabend oder löse Sudokus. So gegen halb acht bin ich dann in meinem Büro bei Services RAV in Bümpliz und in Gedanken bereits beim Mentoringprogramm. Die Idee des Mentoringprogramms für über 50-jährige Arbeitssuchende ist einfach und nahe an den Menschen: Personen, die sehr gut in der Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung verankert sind, begleiten als Mentorin oder Mentor Stellensuchende zurück in den Arbeitsmarkt.
Eine meiner Hauptaufgaben ist es, für die Stellensuchenden einen Mentor oder eine Mentorin zu finden, der oder die möglichst gut passt. Zunächst bearbeite ich die Anmeldungen des Stellensuchenden, die uns die Personalberaterinnen und Personalberater der RAV-Standorte schicken. Um die Bewerberinnen und Bewerber für das Mentoringprogramm besser kennenzulernen, führe ich mit ihnen ein Startgespräch. Dort versuche ich unter anderem herauszufinden, was sie mitbringen, was ihre beruflichen Vorstellungen sind und welche Erwartungen sie an ihren Mentor oder ihre Mentorin haben. Zudem füllen sie auch einen umfangreichen Selbsteinschätzungsbogen aus, den wir dann gemeinsam besprechen.
Nun beginnt die Suche nach der geeigneten Mentorin oder dem geeigneten Mentor. Wir stecken im Team die Köpfe zusammen, tauschen Ideen aus. Wenn wir in unserem bestehenden Netzwerk nicht fündig werden, fragen wir auch mal Bekannte aus unserem eigenen Umfeld an, ob sie uns allenfalls weiterhelfen können oder jemanden kennen. Haben wir eine geeignete Person gefunden, treffen wir uns zu dritt zu einem sogenannten «Matching-Gespräch». Wenn die Chemie zwischen den Stellensuchenden, den sogenannten «Mentees», und ihren Mentorinnen oder ihren Mentoren stimmt, kann das vier bis sechsmonatige Mentoring starten.
Während des Mentorings selber bin ich dann nicht mehr dabei. Das machen wir ganz bewusst. Die beiden beteiligten Personen legen selber fest, wie oft sie sich treffen, welche Ziele sie sich setzen und woran sie gemeinsam arbeiten. Nur so kann eine auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit entstehen. Beim Mentoringabschluss klinke ich mich wieder ein und hole wertvolle Rückmeldungen zum Mentoringprozess bei den Mentees, bei den Mentorinnen oder Mentoren und bei den Personalberatenden der RAV-Standorte ein.
Die Mentorinnen und Mentoren unterstützen ihre Mentees mit ihrer Branchenkenntnis und ihrer Erfahrung, aber auch mit ihrem Netzwerk. Manchmal stimmt das Selbstbild der Stellensuchenden beispielsweise nicht mit der Realität auf dem Arbeitsmarkt überein. Sie suchen aufgrund ihrer Voraussetzungen in einem beruflichen Bereich, in dem sie chancenlos sind. Dann können die Mentorinnen und Mentoren ihnen andere Wege oder Berufsfelder aufzeigen, die erfolgsversprechender sind. Oft verkaufen sich die Arbeitssuchenden auch in ihren Bewerbungen zu wenig gut: Wenn bei einer Bewerbung der Funke nicht springt, hat man verloren. Da helfen die Tipps der Mentorinnen und Mentoren weiter, welche selber regelmässig Mitarbeitende einstellen. Und manchmal müssen die Stellensuchenden auch motiviert oder aus der Komfortzone «geschüttelt» werden.
Die Mentorinnen und Mentoren bringen ihre Erfahrung ein und können manchmal Türen öffnen. Sie sind jedoch nicht wie im Fussball die «Spielerberater», die aktiv Stellen vermitteln. Gerade beim Optimieren der Bewerbungsstrategie können sie die Arbeitssuchenden aber sehr gezielt unterstützen.
Für mich ist einer der grössten Erfolge, dass wir Leute bis hinauf in die Konzernleitungsstufe für unser Projekt begeistern konnten. Mittlerweile haben wir über 70 Mentorinnen und Mentoren aus mehr als 40 Organisationen, die freiwillig und unentgeltlich mitmachen. An einem jährlichen Netzwerk-Anlass tauschen wir uns untereinander aus, um noch mehr Menschen über 50 Jahren den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu ermöglichen.
Jedes Mal, wenn ich eine E-Mail erhalte, in der steht: «Ich habe eine Stelle gefunden!», freuen wir uns als Team jeweils riesig. Es freut mich auch, wenn ich beispielsweise von einem «Mentee» höre, er habe sich im Programm sehr gut aufgehoben gefühlt und es geschätzt, dass das RAV sich so um ihn gekümmert habe.
Ich bin überzeugt, dass die Ü50-Generation einen Platz in der Arbeitswelt hat, der berechtigt ist. Denn da ist sehr viel Wissen und Potenzial da, das brachliegt. Mein Wunsch ist, dass das Mentoringprogramm, welches derzeit noch als Pilotprojekt läuft, im Kanton Bern definitiv eingeführt wird. Es hilft den betroffenen Personen und bringt das RAV auch näher mit der Wirtschaft zusammen. Das könnte für die Zukunft neue Synergien schaffen.»
Aufgezeichnet von Manuel Schär
Bild: Adrian Moser
Veröffentlicht am 1.2.2024
Projekt «Mentoringprogramm Kanton Bern»
Im Rahmen des Mentoringprogramms Kanton Bern begleiten Personen, die sehr gut in der Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung verankert sind, als Mentorinnen oder Mentoren, gut qualifizierte RAV-Kundinnen und -Kunden im Alter von 50 bis 62 Jahren zurück in den Arbeitsmarkt. Die Mentorinnen und Mentoren arbeiten freiwillig und unentgeltlich. Mit dabei sind bereits mehr als 40 Organisationen mit über 70 Mentorinnen und Mentoren. Das bis Ende 2024 befristete Projekt «Mentoringprogramm Kanton Bern» wurde im August 2021 gestartet. Es ist Teil des Impulsprogramms SECO 2020 – 2024 des Bundes. Dieses finanziert schweizweit insgesamt 35 kantonale Projekte mit Massnahmen für eher schwer vermittelbare, insbesondere ältere Stellensuchende. Die Wirkung des Mentoringprogramms im Kanton Bern wird von der Berner Fachhochschule evaluiert. Über die definitive Einführung wird die Leitung des Amts für Arbeitslosenversicherung des Kantons Bern entscheiden.
Ab März 2024 übernimmt Hans-Peter Hauenstein die Gesamtverantwortung für das Projekt von Walter Roth, dem aktuellen Projektleiter, der in Pension geht und sich mit einem sehr guten Gefühl zurückzieht: «Ich bin überzeugt, dass die individuelle und persönliche Zusammenarbeit im Mentoringprogramm hilft, die Altershürde zu beseitigen und sowohl für die Unternehmen wie für die Stellensuchenden gewinnbringend ist.»
Weitere Informationen zum Projekt: www.be.ch/mentoring-rav
Informationen für Mentorinnen und Mentoren: Mentoringprogramm Kanton Bern
Video Mentoringprogramm auf YouTube