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«Im Vergleich zu vorher ist es ein Quantensprung»

Mit dem neuen Online-Tagblatt hat der Kanton einen weiteren Digitalisierungsschritt gemacht. Die Informationen zu den Grossratssessionen stehen dank künstlicher Intelligenz schneller und benutzerfreundlicher zur Verfügung. Auch für die Redaktorinnen und Redaktoren der Parlamentsdienste hat sich einiges geändert.

Die Videos aller Wortmeldungen im Grossen Rat, klickbare Redetexte und alle Abstimmungsergebnisse: Das alles ist seit der letzten Wintersession im neuen Online-Tagblatt abrufbar. Dank einer effizienten Stichwortsuche lassen sich bestimmte Voten einfach und rasch finden. Die einzelnen Voten können zudem mit einem Klick über die sozialen Medien geteilt werden. Damit ermöglicht das Online-Tagblatt der Öffentlichkeit einerseits einen besseren und attraktiveren Zugang zu den Inhalten der Grossratssessionen. Andererseits entlastet die Software mediaparl des Walliser Unternehmens Recapp die Redaktion Grosser Rat. «Im Vergleich zu vorher ist es ein Quantensprung», sagt Claudia Himmelreich, Leiterin Betrieb Parlamentsdienste. In den vergangenen Jahren sei der Aufwand für die Protokollführung insgesamt stetig gestiegen. «Ohne ein solches Tool könnten wir die Menge von Kommissions- und Sessionssitzungen gar nicht mehr bewältigen.»

Der Algorithmus lernt schnell

Bevor die neue Software eingeführt wurde, gingen die Redaktorinnen und Redaktoren mit ihrer persönlichen Ausrüstung in eine Session. Sie nahmen die Wortmeldungen im Grossen Rat mit einem Audiorekorder auf, erstellten in Word eine Liste der Rednerinnen und Redner, tippten das Gesagte nach der Sitzung in das Worddokument und redigierten anschliessend den Text. Ein ziemlich grosser Aufwand. Heute macht die Software Ton- und Bildaufnahme in einem und transkribiert automatisch. Jetzt können sich die Redaktorinnen und Redaktoren voll auf das Redigieren konzentrieren.

Der Kern von mediaparl ist die Spracherkennungstechnologie, die auf die Schweiz angepasst ist. Die Technologie erkennt Mundart und übersetzt sie in die Schriftsprache. Als das Walliser IT-Unternehmen dem Projektteam der Parlamentsdienste mediaparl ein erstes Mal präsentierte, war man auf Berner Seite zunächst skeptisch. Denn die Software funktionierte damals nur auf Hochdeutsch und Französisch. Der Algorithmus lernte allerdings rasch. Mediaparl erkannte neu Mundart und wurde immer besser. Kein Wunder: Das Lernmaterial war «Wallisertiitsch», der vielleicht am schwierigsten zu verstehende Schweizer Dialekt. Auch jetzt, mit der Anwendung im Berner Rathaus, entwickelt sich die Software weiter. «Wenn wir im transkribierten Text etwas korrigieren, lernt der Algorithmus», erklärt Nicole Aeby, Digital-Managerin Recapp und Web sowie Projektleiterin Online-Tagblatt.

Hohe Qualitätsstandards

«Die automatische Transkription bringt den grössten Zeitgewinn», sagt Stefanie Lüscher, stellvertretende Verantwortliche der Redaktion des Online-Tagblatts. «Pro Sitzungsstunde einer Session hatte ich früher zehn bis zwölf Stunden Nachbearbeitung, jetzt sind es noch sechs bis sieben Stunden.» Zudem ermöglicht mediaparl das Arbeiten mit vorformatierten Textbausteinen, so dass das manuelle Formatieren entfällt.

«Die Software lässt sich intuitiv bedienen. Aber unsere Qualitätsansprüche sind hoch – die Arbeit bleibt somit anspruchsvoll», sagt Aeby. Sie war im Projekt Online-Tagblatt verantwortlich für den technischen Teil und stellt nun sicher, dass die Redaktorinnen und Redaktoren auf dem neuesten Stand bleiben und Feedback erhalten. Durch die laufenden Schulungen bleiben die Qualitätsstandards hoch. Das Hilfsmittel dazu ist ein von Aeby und Lüscher verfasstes 150-seitiges Handbuch für die Protokollführung mit mediaparl.

Die Maschine ersetzt den Menschen nur teilweise

Dem Projektteam um Himmelreich, Lüscher und Aeby war von Anfang an klar, dass mit dem neuen Online-Tagblatt eine Reorganisation der Abläufe einhergehen muss. Innerhalb der Redaktion wurde ein fünfköpfiges Team gebildet, das spezielles Wissen bezüglich Publizieren erworben hat. Denn obwohl die Maschine dem Menschen einiges an Arbeit abnimmt, ist sie nicht imstande, ihn vollständig zu ersetzen. Beispielsweise muss das Publikationsteam die Videos sichten und allenfalls schneiden, bevor sie online gestellt werden.

Wenige Stunden nach Sitzungsende stehen die Videos, die Abstimmungsresultate sowie die Liste der Rednerinnen und Redner im Online-Tagblatt zur Verfügung. Für die Redetexte brauchen die Redaktorinnen und Redaktoren etwas mehr Zeit. Wichtige Geschäfte werden prioritär behandelt und sofort publiziert, die anderen laufend in den Wochen nach der Session.

Vom Einzelkämpfertum zum Team

Mit der Einführung des neuen Online-Tagblatts ist die Redaktion weiter zusammengewachsen. Dieser Prozess wurde bereits 2014 eingeleitet. «Aus protokollführenden Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern sind Redaktorinnen und Redaktoren geworden, die sich als Team verstehen», fasst Himmelreich die Entwicklung zusammen. Aktuell besteht das Team «Redaktion Grosser Rat» aus 16 Personen mit einem Beschäftigungsgrad zwischen 15 und 70 Prozent, insgesamt sind es 540 Stellenprozente.

Die Etablierung des neuen Online-Tagblatts wirkt sich ebenfalls auf die Personalrekrutierung aus. Himmelreich: «Etwas plakativ ausgedrückt, wurden früher Personen gesucht, die gut Deutsch konnten, eine gute Allgemeinbildung sowie flinke Finger hatten und zuverlässig waren – das reicht nicht mehr.» Heute gilt es, zusätzlich anpassungsfähig und technisch versiert zu sein, denn die digitale Transformation geht weiter. Diese stete Weiterentwicklung bringt Unsicherheiten mit sich, die bei den Redaktorinnen und Redaktoren ebenfalls spürbar waren. «Viele hatten Angst, dass die neue Software sie überflüssig machen würde. Andere wiederum befürchteten, die Arbeit werde langweilig», erinnert sich Himmelreich. Beide Befürchtungen sind nicht eingetroffen. Im Gegenteil: Das Team schätze die neue Arbeitsweise, das Online-Tagblatt sei eine Bereicherung, sind sich Himmelreich, Lüscher und Aeby einig.

Philippe Blatter

http://www.be.ch/online-tagblatt

Veröffentlicht am 27.4.2023

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