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«Lockerungsübung für unsere Gedanken»

Notwendig für die Gleichstellung oder mühsam für den Lesefluss? Bei der geschlechtergerechten Sprache scheiden sich die Geister. Die Sozialpsychologin Prof. Dr. Sabine Sczesny über den Wandel unserer Sprache, kreative Lösungen und spannende Forschungsfragen.

Frau Sczesny, Sie forschen an der Universität Bern unter anderem zu geschlechtergerechter Sprache. Was genau ist heute mit geschlechtergerechter Sprache gemeint?

Bis vor einigen Jahren ging es vor allem um die sogenannte «Beidnennung». Anstatt «die Polizisten» schreiben wir bei der Beidnennung «Polizistinnen und Polizisten», wenn Frauen und Männer vertreten sind. Frauen werden also nicht nur mitgedacht, sondern aktiv genannt. In der offiziellen Sprache, den Medien und der Wissenschaft hat sich das mittlerweile fast überall durchgesetzt.

In der letzten Zeit wurden Personen, die sich nicht als weiblich oder männlich kategorisieren, in unserer Gesellschaft immer sichtbarer. Die aktuelle Debatte dreht sich darum, wie wir diese Personen integrieren können.

Hier kommt also das Gendersternchen ins Spiel.

Genau. Zu unserer Gesellschaft gehören Gruppen, deren Bedürfnisse von der Mehrheit der Gesellschaft abweichen. In einer offenen Gesellschaft braucht es Wege, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, und das zeigt sich auch beim Sprachgebrauch. Da gibt es Verschiedenes, das – vor allem von jüngeren Personen – zurzeit ausprobiert wird. Der Genderstern (Leser*innen) ist eine Möglichkeit, aber auch der Doppelpunkt (Leser:innen) oder der Gendergap (Leser_innen). Wie verbreitet die einzelnen Sprachformen sind, wissen wir nicht, da es noch keine Studien zu diesem Thema gibt. Der Grundgedanke ist aber bei allen derselbe: Personen sollen unabhängig von ihrem Geschlecht angesprochen und integriert werden.

Ein häufiges Argument ist, dass es wichtigere Bereiche gibt, in denen die Inklusion und die Gleichstellung dieser Personen gefördert werden muss. Welche Rolle nimmt Sprache überhaupt ein?

Wir nutzen Sprache, um unsere Lebensrealitäten abzubilden. Wollen wir also zeigen, dass unsere Gesellschaft divers ist, können wir unsere Sprache dazu nutzen. Gleichzeitig beeinflusst umgekehrt Sprache unser Denken und erinnert uns daran, dass wir in einer diversen Gesellschaft leben. Es ist aber klar, dass Sprache nur ein Mosaikstein auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft ist. Wenn wir effektiv sein wollen, müssen wir an allen Strängen ziehen und brauchen einen Katalog von Massnahmen.

Also kann uns ein sprachliches Mittel wie das Gendersternchen zu mehr Gleichstellung verhelfen?

Zum Gendersternchen selbst gibt es bisher noch keine Forschung. Besonders interessant wäre die Frage, ob sich bestimmte Personengruppen tatsächlich besser angesprochen fühlen und ob dies Auswirkungen auf ihre Lebensrealitäten hat. Wir nehmen an, dass sich Ähnliches wie bei Studien zur Beidnennung zeigen könnte: Sie führt nämlich dazu, dass mentale Bilder von Frauen und Männern gleichmässig ermöglicht werden. Wenn wir sagen, «die Bürger gehen zur Urne», führt das zu einem anderen Bild in unseren Köpfen, als wenn wir sagen, «die Bürgerinnen und Bürger gehen zur Urne». Es hat sich gezeigt, dass sprachliche Integration so zum Abbau von sozialer Diskriminierung beiträgt. In unserem Forschungsnetzwerk konnten wir beispielsweise feststellen, dass sich Mädchen mehr für männlich-typisierte Berufe interessieren, wenn diese mit einer Beidnennung vorgestellt wurden. Oder dass Frauen bei Bewerbungsgesprächen um Spitzenpositionen eine grössere Chance auf den Job haben, wenn die Ausschreibung in geschlechtergerechter Sprache verfasst ist.

Gerade für eine Behörde wie die Kantonsverwaltung ist es zentral, verständlich zu kommunizieren. Gendersternchen oder andere sprachliche Mittel können aber den Lesefluss stören und Texte komplizierter machen. Ist das nicht problematisch?

Schon als die Beidnennung eingeführt wurde, gab es kritische Stimmen, die eine schlechtere Verständlichkeit befürchteten. Studien haben aber gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Tatsächlich kann beim Gendersternchen sogar vermutet werden, dass er «ökonomischer» ist als die Beidnennung. «Mitarbeiter*innen» ist schneller zu schreiben und zu lesen als «Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen». 

Zudem ist Sprache etwas Lebendiges und entwickelt sich fortlaufend weiter. Wie sie sich wandelt, hängt immer davon ab, was für die Menschen praktikabel und einfach ist. Das wird auch für die Entwicklung der geschlechtergerechten Sprache entscheidend sein. Gerade für die Amtssprache stellt sich auch die Frage, inwieweit man alle Minoritäten ansprechen kann. Der Genderstern ist hier eine spannende Option, weil er generisch alle Personengruppen meint und anspricht und so auch eine Art Lockerungsübung in unseren Gedanken darstellt.

Manche Personen unterstützen zwar die Idee der geschlechtergerechten Sprache, haben aber Mühe, sich im eigenen Sprachgebrauch daran zu gewöhnen. Gibt es Techniken, mit denen wir uns leichter daran gewöhnen können?

Bei neuen Regelungen in unserem Sprachgebrauch müssen wir gedanklich umstellen und das braucht zu Beginn immer mehr Kapazitäten. Das ist bei geschlechtergerechter Sprache ähnlich wie bei einer Rechtschreibreform. Sobald man sich aber aktiv mit einer Änderung auseinandersetzt, merkt man, dass es eigentlich gut umsetzbar ist. Kreative Lösungen zeigen sich meist erst, wenn man sich darauf eingelassen hat. 

Geschlechtergerechte Sprache in der Kantonsverwaltung

Der Leitfaden schriftliche Kommunikation des Kantons Bern hält fest, dass sich die Kommunikation der Kantonsverwaltung gleichwertig an Männer und Frauen richtet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen dazu in erster Linie die Beidnennung. Der Leitfaden steht ab Ende 2021 auch auf Französisch zur Verfügung. Bei der geschlechtergerechten Sprache folgt der Kanton Bern den Vorgaben der Bundeskanzlei. Das Gendersternchen wird vom Bund - und folglich auch in der Berner Kantonsverwaltung – bisher nicht verwendet.

Prof. Dr. Sabine Sczesny

Zur Person

Prof. Dr. Sabine Sczesny ist Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Bern. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Soziale Kognition, Personenwahrnehmung, Stereotype und Vorurteile, Sprache und Geschlecht, Diversity und Sexuelle Aggression.

Alissa Hänggeli

Foto: PHOTOPRESS/Peter Schneider

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