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Der Steinbockfänger

Seit Anfang Mai hat es am Stockhorn je fünf Steinböcke und -geissen. Die zehn Tiere sind der erste Teil einer neuen Steinwildkolonie und sollen für mehr Artenvielfalt in der Region und eine bessere genetische Basis des Steinwilds im Kanton Bern sorgen. Mitverantwortlich für die Ansiedelung ist der Obersimmentaler Wildhüter Christian Zimmermann. Im Gespräch mit «BEinfo» erzählt er vom Fang der Steinböcke und von deren Umsiedelung.

Christian Zimmermann, wie müssen wir uns das Fangen eines Steinbocks vorstellen?

Insgesamt waren fünf Fangteams unterwegs. Drei im Wallis und zwei bei uns im Kanton Bern. Als Erstes richteten wir an geeigneten Stellen Salzlecken ein. Bei der Wahl der Standorte haben wir darauf geachtet, dass es keine Felsen in der Nähe hat und das Gelände begehbar ist. So haben wir versucht, das Steinwild anzulocken. Dann versteckten wir uns in Zweierteams in der Nähe dieser Stellen in kleinen Hütten und haben gewartet, bis die Tiere kommen. Das war eine Geduldsprobe. Zum Teil sassen wir drei bis vier Stunden da und haben kein Tier gesehen. Und dann gab es Fälle, wo sie bereits nach einer Viertelstunde kamen.

Was waren die Schwierigkeiten dabei?

Die Tiere mussten mit einem Narkosegewehr narkotisiert werden. Die Schussdistanz beträgt hier im besten Fall 15 Meter. Da muss man also sehr, sehr nahe an das Wildtier herankommen. Das geht nur, wenn man sich ruhig und still verhält. Wir hatten zum Glück den Vorteil, dass wir in Hütten oder Ställen warten konnten, damit sie uns nicht sehen und wir sie aus einem Versteck heraus beschiessen konnten.

Wie schwierig ist das Schiessen? Muss man hier mit Fehlschüssen rechnen oder trifft man jedes Mal?

Es kann Fehlschüsse geben. Wir können die Pfeile eben nicht mit derselben Energie abschiessen wie eine Gewehrkugel. Wir wollen die Tiere ja nicht unnötig verletzen. Deshalb sind diese Pfeile relativ langsam und die Tiere reagieren auf die Geräusche. Es kann deshalb vorkommen, dass das Tier einen Sprung nach vorne macht und der Pfeil hinten durchfliegt.

Was passiert nach einem Treffer? Wie lange dauert es, bis das Tier einschläft?

Die Tiere reagieren ganz unterschiedlich auf den Beschuss. Es gibt Tiere, die zwei, drei Schritte machen und stehen bleiben und sich dann nach zwei Minuten langsam hinlegen und einschlafen. Das ist natürlich der Optimalfall. Es kann aber auch sein, dass sie nach dem Beschuss flüchten und erst nach hundertfünfzig Metern zur Ruhe kommen und dort einschlafen. Damit sie bei der Flucht nicht über Felsen stürzten und sich verletzten, musste der Standort gut gewählt sein.

Was passiert nach erfolgreichem Beschuss?

Bevor man ganz nah zum Tier geht, überprüft man die Narkose. Man klatscht in die Hände und schaut, ob das Tier reagiert. Dann nähert man sich vorsichtig und zieht dem Tier als Erstes eine Augenbinde an. Wie wir Menschen auch können die Tiere unter Narkose noch gewisse Reize wahrnehmen. Mit der Augenbinde können wir dies auf ein Minimum reduzieren.

Und wie kamen die Tiere ans Stockhorn?

Wir waren immer begleitet von Tierärzten des FiWi, des Instituts für Fisch- und Wildtiergesundheit der Universität Bern, die das Tier untersucht, Blutproben genommen und ausgemessen haben. Zudem haben wir den Tieren auch Sender angezogen, damit wir wissen, wie sie sich verhalten, wenn wir sie wieder laufen lassen. Dann steckten wir die Tiere in geeignete Transportkörbe. Anschliessend spritzten wir ihnen ein Beruhigungsmittel und ein Mittel zum Wecken, damit sie zwar wach, aber ruhig sind und nicht zu viel Stress haben. Mit diesem Korb haben wir die Tiere vom Fangort mit dem Helikopter ans Stockhorn geflogen. Dort wurden sie 24 Stunden in Quarantäne genommen, bis wir die Ergebnisse der Blutuntersuchung hatten und wussten, ob die Tiere wirklich gesund sind – nicht, dass wir kranke Tiere aussetzen. Zum Glück waren alle gefangenen Tiere gesund.

Wie haben Sie diesen ungewöhnlichen Auftrag – Steinwild einfangen und an einem anderen Ort wieder aussetzen – empfunden?

Das war für mich eine schöne und sehr spezielle Erfahrung. Ich bin relativ neu dabei und habe erst im September 2021 als Wildhüter zu arbeiten angefangen. Es war beeindruckend, den Tieren so nah zu sein und sie auf solch kurze Distanz zu beobachten. Ein absolutes Highlight war für mich, als ich den ersten Steinbock mit dem Narkosepfeil erfolgreich hatte beschiessen können und das Tier danach wieder aufgewacht war. Eindrücklich war auch der Moment, als wir das Steinwild wieder freilassen konnten. Bei den ersten zwei, drei Tieren war das sehr faszinierend für mich.

Wie geht es nun weiter mit dem Projekt?

Wir haben unser Ziel fürs erste Jahr erreicht. Wir haben insgesamt zehn Tiere ausgesetzt – sechs aus dem Kanton Bern und vier aus dem Wallis. Ziel ist es, bis in drei Jahren dreissig Tiere zu haben, sprich: jedes Jahr zehn weitere Tiere. Die ersten Tiere sind aus der Schwarzmönch-Kolonie und aus der Aletsch-Sonnenberge-Lötschental-Kolonie im Wallis. Neu sollen auch Tiere aus der Kolonie vom Augstmatthorn hinzukommen. In einer zweiten Phase – nach zehn Jahren – sollen, wenn möglich, Steinböcke aus Frankreich oder Italien die genetische Basis der neuen Kolonie verbreitern.

Auf die genetische Zusammensetzung der neuen Kolonie wurde ein grosses Augenmerk gelegt. Nach welchen Kriterien wurden die Tiere ausgewählt?

Diese Voruntersuchungen hat die Uni Zürich gemacht und uns dann gesagt, aus welchen Kolonien wir Steinböcke fangen sollen. Da es im Kanton Bern alles Inselkolonien sind, findet bereits eine Genverarmung statt. Und hier war das Ziel, eine möglichst gute Durchmischung zu erreichen. Dass wir wieder starke Steinböcke mit frischem Blut haben.

Haben sich die Tiere am Stockhorn schon gefunden oder sind sie noch individuell unterwegs?

Gewisse Tiere sind bereits beieinander und sind nicht allzu weit gegangen. Andere Tiere gingen weiter, ein Bock ging bis an die Kaiseregg im Freiburgischen, er ist nun aber bereits wieder auf dem Rückweg. Andere Tiere gingen hinunter bis zur Simmenfluh. Sie sind also grossflächig unterwegs und erkunden ihren neuen Lebensraum. Ich vermute allerdings, dass sie sich mit der Brunft, die im Dezember und Januar stattfindet, endgültig finden und den neuen Einstand beziehen werden. Es wäre schön, wenn das am Stockhorn ist, aber es sind Wildtiere, und deshalb ist es schwierig abzuschätzen, wo sie sich niederlassen werden. Aber der Lebensraum am Stockhorn würde stimmen, deshalb stehen die Chancen gut, dass sie dort bleiben werden.

Interview: Lukas Reinhardt

 

 

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