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Mehr Schutz für das «unsichtbare» Welterbe im Bielersee

Mit baulichen Massnahmen sichert der Kanton das UNESCO-Welterbe in Sutz im Bielersee. Ein Wellenbrecher und Steinblöcke schützen seit Ende 2020 die rund 4700 Jahre alte Pfahlbausiedlung bei Sutz-Lattrigen.

Wellenbrecher aus grossen Kalksteine entlang des Ufers, soll das weitere Zurückweichen des Ufers verhindern. 

Wie schützt der Kanton sein «unsichtbares» Welterbe im Bielersee? Und: Welche Geheimnisse sind schon gelüftet?

Vor dem Rütte-Gut in Sutz am Bielersee liegt ein fast unsichtbarer Schatz. Vor über 4700 Jahren lebten hier Pfahlbauer, und noch immer sind Überreste dieser Siedlung im Uferbereich zu finden. Im Bielersee gibt es zwar rund 50 Pfahlbau-Fundstellen, jene von Sutz-Lattrigen ist aber eine besondere und gehört zum UNESCO-Welterbe. Die Siedlung vor dem Rütte-Gut wurde im Lauf ihres rund 80-jährigen Bestehens mindestens einmal durch ein Brandereignis zerstört. Diese Tatsache führt dazu, dass das gesamte Material der Menschen, die in diesen Häusern lebten, noch dort ist. «Wir können also sehr viel über das Alltagsleben aus dieser Zeit rekonstruieren – ebenso viel wie aus mancher Epoche, von der wir schriftliche Zeugnisse haben», sagt Marianne Ramstein, stellvertretende Leiterin des Ressorts Prähistorische und Unterwasserarchäologie beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern und ergänzt: «Wir wissen, was die Pfahlbauer gegessen haben, woraus ihre Kleider bestanden und haben auch Reste ihrer Haustiere gefunden. Das macht die ganze Geschichte schon sehr speziell.» 

Doch der wertvolle Schatz der Pfahlbauer ist gefährdet. Seit dem Absenken des Seespiegels im Ramen der ersten Juragewässerkorrektion vor über 150 Jahren führt der stärkere Wellengang bei Westwind dazu, dass langsam aber kontinuierlich Teile der Pfahlbausiedlung weggeschwemmt werden. «Weil wir dem Westwind schlecht verbieten können auf diese Fundstelle zu blasen, mussten wir eine Methode finden diese Fundschichten vor der natürlichen Erosion zu schützen», erklärt Marianne Ramstein. Ende der 1990er-Jahre wurde deshalb ein Palisadenzaun errichtet, in der Hoffnung, dass die Wellen vor der Fundstelle brechen. Der damals errichtete Zaun hielt der Gewalt des Wassers aber nicht lange stand. Um keine zusätzlichen Schäden an der Fundstelle anzurichten, wurde er entfernt und eine neue Lösung gesucht. Seit November des letzten Jahres steht diese neue Lösung. Dank internationalem Austausch und einer Wellensimulation mit anschliessender Modellierung möglicher Schutzmassnahmen der EPF Lausanne sind die Pfahlbauten vor Sutz-Lattrigen nun besser vor der Erosion geschützt.

Komplexe bauliche Schutzmassnahmen

Zuerst wurden im Sommer 2020 die am Seegrund offenliegenden archäologischen Schichten vermessen und ein dreidimensionales Modell des «Ist-Zustandes» der Fundstelle erstellt. Die Tauchequipe des Archäologischen Dienstes sammelte anschliessend die oberflächlich liegenden Funde ein und deckte die Fundstelle mit Kokosmatten ab. Diese dienen als Trennschicht zu den noch erhaltenen archäologischen Schichten. Damit sehe man was neu und was Original sei, erklärt Marianne Ramstein. «Wir haben bewusst eine ortsfremde aber natürliche Faser gesucht. Wir wollten ein Gewebe, dass wenn jemand in 20, 50 oder 100 Jahren eine Ausgrabung macht, nicht das Gefühl entsteht, dies sei ein Teil der Fundstelle.» Die Kokosmatten wurden anschliessend mit Geröll überdeckt. Dies führt dazu, dass die Wellen frühzeitig verlangsamen respektive zu Brechen beginnen. Die Korngrösse dieser Schüttung wurde so gewählt, dass die Steine auch bei starkem Wellengang nicht oder nur unerheblich verfrachtet werden. Zusätzlich wurde im Herbst 2020 mittels Bagger dem Ufer ein Wellenbrecher aus grossen Kalksteinblöcken vorgelagert. So soll verhindert werden, dass die Bäume im Uferwald weiter unterspült werden und umstürzen.

Schutz statt Ausgrabung

Die Kosten für diese Schutzmassnahmen belaufen sich auf über eine Million Franken, wovon der Bund 350 000 Franken übernimmt. Die Kosten für eine Grabung wären aber wohl zehnmal höher, sagt Marianne Ramstein. Gegen eine Grabung habe aber noch ein weiterer Punkt gesprochen: «Diese Fundstelle wurde zusammen mit über hundert weiteren Fundstellen im Alpenraum vor 10 Jahren unter den Schutz der UNESCO gestellt, mit dem klaren Ziel, dass man diese Stellen für kommende Generationen erhält und nicht ausgräbt.» Selbstverständlich habe man aber ein Forschungsinteresse und würde gerne ausgraben und sehen was sich im Uferbereich noch alles finde, sagt die stellvertretende Leiterin des Ressorts Prähistorische und Unterwasserarchäologie beim Archäologischen Dienst. «Unsere Aufgabe als kantonale Dienststelle ist aber nicht möglichst viel auszugraben, sondern das zu dokumentieren, was zerstört wird. Und wenn wir die Zerstörung verhindern können, geht bei uns der Schutz immer vor», so Marianne Ramstein. Hinzu komme, dass die Forschung sich rasant weiterentwickle. «Wenn wir heute etwas ausgraben, können wir deutlich mehr Untersuchungen machen und Resultate heraushohlen, als vor zehn Jahren. Aber diese Entwicklung wird nicht stoppen und in zehn Jahren nochmal besser sein.» Deshalb sei es auch wichtig, dass man Fundstellen schütze für eine Zeit in der man mit viel besseren Forschungsmethoden die Schätze der Vergangenheit untersuchen könne.

Teile des Geheimnisses sind bereits gelüftet

Dennoch habe man ein relativ klares Bild der Siedlungsfläche. An den Randzonen der Pfahlbauersiedlung in Sutz gab es nämlich in den letzten Jahren Untersuchungen. Anhand dieser rund 20 Prozent der Siedlungsflächen liesse sich die effektive Grösse der Siedlung extrapolieren, erklärt Marianne Ramstein. Nach starken Windereignissen habe man in den letzten 20 Jahren auch immer die Oberfläche abgetaucht und freigelegte Funde zusammengesammelt. «Da hatte es natürlich ganz tolle Dinge darunter, ein Bastschuh beispielsweise. Wir fanden auch immer wieder Hirschgeweih- und Knochengeräte, Steinbeile oder Keramik. Das Ziel war aber möglichst viel im Boden zu behalten und zu schützen.» Dank den drochronologischen Untersuchungen kenne man auch die unterschiedlichen Siedlungsphasen der Siedlung. Durch die aufwendigen Schutzmassnahmen rückt eine vollständige Untersuchung der Fundstelle vorerst aber in weite Ferne.

Welterbe und doch kein Touristenmagnet

Und so bleibt die Fundstelle nun unter einer Stein- und Kokosschicht erhalten und ist für künftige Generationen geschützt. Für den Laien ändere sich damit nicht viel, sagt Marianne Ramstein. «Es ist eine Fundstelle unter Wasser und als Besucher sieht man an all diesen Fundstellen wenig oder gar nichts.» Hinzukomme, dass die Fundstelle vor Sutz-Lattrigen den Wenigsten bekannt sei, auch wenn sie zum UNESCO Welterbe gehöre. Denn anders als ihre Pendants, wie die Pyramiden in Ägypten oder der Taj Mahal in Indien ziehen die Pfahlbauten nicht die breiten Massen an. «Es werden nie Cars nach Sutz fahren um die Fundstelle anzuschauen, aber das ist auch gut so», sagt Ramstein. Denn je zugänglicher etwas sei, desto mehr werde es dadurch auch wieder gefährdet.

Lukas Reinhardt

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