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«Männer und Frauen stecken im gleichen Korsett – mit unterschiedlichen Folgen»

Barbara Ruf leitet die Gleichstellungsfachstelle des Kantons seit 20 Jahren. Zum 50-jährigen Jubiläum des Frauenstimmrechts spricht sie über mutige Vorbilder bei der Kantonsverwaltung und hartnäckige Rollenbilder.

Barbara Ruf, am 12. Dezember feierten wir 50 Jahre Frauenstimmrecht im Kanton Bern. Trotzdem verdienen Frauen teilweise immer noch weniger, leisten mehr unbezahlte Care-Arbeit und haben geringere Karrierechancen. Warum halten sich diese Ungleichheiten so starr?

Die gleichen Rechte, die die Frauen mit dem Stimmrecht erhielten, führen nicht automatisch zu tatsächlicher Gleichstellung. Damit Gleichstellung im Alltag umsetzbar wird, müssen wir an Rollenbildern und strukturellen Barrieren arbeiten. Kinderbetreuung, Steuern, Vorsorge – um nur ein paar Baustellen zu nennen. Meine Vision ist eine echte Wahlfreiheit von Frauen und Männern, damit sie Beruf und Familie so vereinbaren können, wie es ihnen entspricht – ohne sich subtilen Rollenzwängen und Erwartungen aufgrund ihres Geschlechts beugen zu müssen.

Anfangs fokussierte die Gleichstellungsfrage vor allem auf die Frauen. Welche Themen beschäftigen die Männer?

Von Männern wird erwartet, dass sie beruflich erfolgreich sind, das Familieneinkommen verantworten und ihre Gefühle stets im Griff haben. Aber immer mehr Väter wünschen sich neue, partnerschaftliche Rollenmodelle: mehr Zeit für die Kinder, Teilzeitarbeit, geteilte Verantwortung für das Familieneinkommen. In der Praxis klaffen Wunsch und Wirklichkeit immer noch oft auseinander. Das ist ein grosses Thema. Wenn es um Rollenklischees geht, stecken Frauen und Männer im gleichen Korsett – aber mit unterschiedlichen Folgen: finanzielle Nachteile beim Lohn und bei den Renten bei den Frauen, weniger Alltagsnähe zu den Kindern bei den Männern. Das wird bei der Scheidung oft schmerzlich erfahrbar.

Welche Rolle spielen dabei Arbeitgebende?

Sie sind gefordert, Arbeitsmodelle anzubieten, die zu den vielfältigen Lebensrealitäten der Mitarbeitenden passen. Während eine Person darauf angewiesen ist, das Pensum zu reduzieren, möchte eine andere es in einer späteren Lebensphase wieder erhöhen. Das verlangt viel Flexibilität. Wenn Unternehmen helfen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit besser mit anderen Teilen ihres Lebens vereinbaren können, liegt das im Blick auf den Fachkräftemangel auch in ihrem Interesse.

Auch Sie feiern dieses Jahr Jubiläum – seit 20 Jahren führen Sie die Fachstelle für Gleichstellung. Wie hat sich Ihre Arbeit in dieser Zeit verändert?

Am Anfang ging es darum, das Bewusstsein zu schaffen, dass die Förderung der Gleichstellung und die Bekämpfung häuslicher Gewalt eine staatliche Aufgabe ist – Grundlagenarbeit sozusagen. Heute geht es mehr um konkrete Lösungen. Weniger «Warum braucht es Gleichstellung?», sondern mehr «Wie setzen wir sie um? Welche Massnahmen sind wirksam? Welche sind mehrheitsfähig?».

Gibt es etwas, das Sie so geprägt hat, dass Sie in dieses Berufsfeld eingestiegen sind?

Ich arbeitete früher in einem Frauenhaus. Dort hat sich die Arbeit darauf konzentriert, zu reagieren, nachdem eine Frau Gewalt erlebt hat – immer im Nachhinein. Ich wollte danach stärker präventiv tätig sein; mich dafür einsetzen, dass die Gesellschaft als Ganzes gleichberechtigter wird.

Wo stehen wir bei der Kantonsverwaltung in Sachen Gleichstellung?

Die Kantonsverwaltung kann sich sehen lassen: So ist beispielsweise der «Flaschenhals» bei der Karriereentwicklung von Frauen weniger eng als in der Privatwirtschaft. Was aber nicht heisst, dass es nicht noch Luft nach oben gibt. Geschlechtsspezifische Wahrnehmungsverzerrungen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie – das sind Themen, an denen wir dranbleiben müssen. Wir sollten weiterhin aktiv am Kulturwandel arbeiten.

Wie lassen sich Leute erreichen, die langsam genug von diesem Thema haben?

Fast niemand ist gegen Gleichstellung. Aber es gibt viele, die müde werden, wenn sich Erfolge nicht sofort abzeichnen. Die letzten 50 Jahre zeigen: Für die grossen Schritte braucht es einen sehr langen Atem. Damit der Kulturwandel gelingt, ist es wichtig, auch die kleinen Erfolgsgeschichten zu erzählen: das gut funktionierende Jobsharing, das Abwenden einer Kündigung wegen Mutterschaft, der teilzeitarbeitende Vater, welcher Vorbild für andere Väter im Team ist. Das Ziel von Gleichstellung ist, dass Frauen und Männer ein gutes und gerechtes Leben führen können. Wir müssen zeigen, dass Gleichstellung nicht abgehoben ist, sondern Menschen in ihrem Leben einen konkreten Mehrwert bringt. 

Interview: Fabian Kleemann

 

Was kann ich persönlich für mehr gelebte Gleichstellung tun?

Neben den Rahmenbedingungen, die stimmen müssen, gibt es vieles, das jede und jeder Einzelne bewirken kann:

  • Geschlechtergerechte Sprache bringt Wertschätzung zum Ausdruck und macht sichtbar – womit sie Ungleichheiten entgegenwirkt (mehr zum Thema: «Lockerungsübung für unsere Gedanken»).
  • Sich selbst laufend hinterfragen, ob man sein Vis-à-vis auf Augenhöhe wahrnimmt. Das ist nicht nur eine Frage des Geschlechts, sondern in einer Kultur gegenseitiger Wertschätzung in allen Beziehungen relevant.
  • Bei Projekten/Podiumsdiskussionen auf eine ausgeglichene Auswahl der Mitglieder achten.
  •  Bei der Suche nach Expertinnen und Fachkräften Plattformen wie sheknows.ch nutzen.

Fertig gefachsimpelt – Sie haben das Wort!

Gleichstellung spielt sich nicht in einem Fachtext ab, sondern erfordert mutige Vorbilder. Darum sind Ihre grossen und kleinen Geschichten gefragt: Haben Sie – oder jemand in Ihrem Team – das Glück, Gleichstellung besonders gut leben zu können? Sei es eine geteilte Führungsposition oder sonst ein unkonventionelles Arbeitsmodell: Für eine der kommenden Ausgaben von «BEinfo» möchten wir Beispiele von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zeigen, denen gelebte Gleichstellung und Beruf mehr Lebensqualität bringt. Melden Sie sich bei uns – einige Stichworte genügen: newsroom@be.ch

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