Logo Kanton Bern / Canton de BerneBEinfo - Personalmagazin der bernischen Kantonsverwaltung

«Zeitgemässe Führung hat einen sehr grossen emotionalen Anteil»

Homeoffice, digitale Tools, flexible Arbeitsmodelle – die Arbeitswelt verändert sich. Und mit ihr die Führung. Doch was genau wird anders? Und welche Besonderheiten gelten in der Kantonsverwaltung? Ein Gespräch über zeitgemässe Führung mit Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, und Thomas Gosteli, Leiter des Personalamts.

Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, und Thomas Gosteli, Leiter des Personalamts referieren am Kaderanlass zu moderner Führung.

Montagmorgen in einem Grossraumbüro. Auf den Tischen stehen die Schreibmaschinen bereit, daneben stapeln sich Aktenordner. Davor sitzen die Mitarbeitenden und warten auf den Beginn des Arbeitstages. Punkt acht Uhr tritt der Chef vor die Belegschaft und verteilt die Aufträge. Kopfnicken, kurze Rückfragen, dann drehen sich die Stühle und das Klappern der Schreibmaschinen setzt ein. Im Verlauf des Arbeitstages geht der Chef zwischen den Schreibtischen entlang und überprüft, ob die Mitarbeitenden ihre Aufgaben ausgeführt haben – und zwar so, wie er es ihnen vorgegeben hat.

Neue Herausforderungen für Führungspersonen

Diese etwas zugespitzt beschriebene Szene erinnert an eine längst vergangene Arbeitswelt, als Schreibmaschinen im Büro das Mass aller Dinge waren und Kontrolle über Vertrauen stand. Doch die Mitarbeitenden und der Chef dieser Szene wären mit ihrem Arbeitsverständnis von damals im Heute heillos überfordert.

In Zeiten von KI, unterschiedlichen Arbeitsmodellen, sich verändernden Kundenbedürfnissen und erhöhter Erwartungshaltung haben sich auch für die Führung neue Herausforderungen ergeben. Im Rahmen der Personalstrategie 2024–2027 setzt der Kanton deshalb gezielt auf die Stärkung einer zeitgemässen Führungskultur. Eine wichtige Plattform dafür ist das Kaderforum, das dem oberen Kader Raum für Reflexion, Austausch und Inspiration bietet. Am diesjährigen Anlass sprach Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, über moderne Führung. «BEinfo» traf die Referentin und Thomas Gosteli, Leiter des Personalamts, zum Gespräch. 

Frau Bruch, wie sieht eine zeitgemässe Führung heute aus?

Heike Bruch: Das Spektrum, das heute von Führungspersonen verlangt wird, ist viel breiter als noch vor wenigen Jahren. Zeitgemässe Führung bedeutet, ein Vorbild zu sein, Orientierung zu geben, den Fokus und Prioritäten zu erkennen. Vor allem aber hat zeitgemässe Führung einen sehr grossen emotionalen Anteil. Es geht darum, die Mitarbeitenden für Ideen zu begeistern und zu inspirieren, sie positiv für die Arbeit und Veränderungen zu gewinnen, aber auch zu schauen, wie es ihnen geht. Dieser emotionale Anteil ist gleichzeitig der anspruchsvollste Teil der Führung. Er beinhaltet nämlich, dass eine Führungsperson selbst emotional in guter Verfassung ist. Damit sie nicht überhitzt, muss sie auch zu sich selbst schauen und sich selbst führen.

Herr Gosteli, was bedeutet zeitgemässe Führung in der Kantonsverwaltung?

Thomas Gosteli: Was Heike Bruch gesagt hat, gilt auch bei uns. Mir gefällt das Credo «Wir vermitteln Sinn und geben Orientierung». Das sind zwei zentrale Aufgaben in einer Führungsrolle. Zeitgemässe Führung heisst auch, das Führungsmodell an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und der Kundinnen und Kunden auszurichten. Man sollte versuchen, sich verändernde Rahmenbedingungen und Bedürfnisse von Anspruchsgruppen frühzeitig zu erkennen und diese Veränderungen im Führungsmodell zu berücksichtigen.

Warum ist das so wichtig?

Gosteli: Die Erwartungen der Bevölkerung an die Verwaltung steigen. Die Bürgerinnen und Bürger wollen digital mit uns kommunizieren und nicht an einen Schalter kommen, ein Ticket beziehen und eine halbe Stunde warten müssen. Wir sind stark gefordert, diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Dafür braucht es Innovation und Freiräume. Zudem: Wer keine zeitgemässe Führung hat, ist für gewisse Arbeitnehmende nicht attraktiv. Der Kanton ist dabei in einer guten Ausgangslage: Wir haben eine positive Reputation als attraktiver Arbeitgeber mit zeitgemässen Zusammenarbeits- und Führungsmodellen. Diese Position gilt es zu behaupten oder auszubauen. 

Bruch: Man muss sich von der Annahme verabschieden, dass es eine verwaltungsspezifische Art der Führung gibt. Die Unterschiede waren früher grösser, heute gibt es einen sehr starken Wettbewerb um Mitarbeitende. Und da steht man als Verwaltung genauso im Wind und muss sich bewähren. 

In der Kantonsverwaltung gibt es historisch gewachsene hierarchische Strukturen. Wie lassen sich die Grundsätze der modernen Führung in solche Strukturen übertragen?

Bruch: Die Hierarchie hat einen schlechten Ruf. Als wäre sie langsam und autoritär. Aber das stimmt gar nicht. Hierarchie klärt zunächst einmal die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, sie schafft Ordnung. Das ist sehr wichtig. Es gilt daher vor allem, übertriebene Hierarchie abzubauen – durch Unbossing, Überwindung langer Entscheidungswege und zu viel Bürokratie. Zusätzlich müssen wir Hierarchie mit parallelen Strukturen ergänzen, indem wir netzwerkartig, projekthaft und fluide arbeiten bei Aufgaben, die spontan hinzukommen.

Welche Kompetenzen brauchen Führungspersonen heute?

Bruch: Sie müssen veränderungsfähig sein und gleichzeitig differenzieren können, wo es Veränderung braucht und wo an Bewährtem festgehalten werden muss. Zu den Kompetenzen gehört auch, mit Unsicherheit umgehen zu können. Also etwas Neues auszuprobieren, ohne zu wissen, was dabei rauskommt. Und sich auch einzugestehen, dass Fehler passieren können. Führungspersonen sollten den Mitarbeitenden Mut machen, die Einstellungen zu verändern. Am Ende geht es darum, die Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben und zu vielen Tätigkeiten Veränderungsfähigkeit hinzuzufügen.

Gosteli: In der Verwaltung kommt diese Zweipoligkeit von Bewährtem und Veränderung besonders stark zum Ausdruck. Einwandfrei funktionierende Prozesse sind äusserst wichtig, die Fehlertoleranz ist entsprechend tiefer. Dadurch fehlt gelegentlich die Freiheit, etwas auszuprobieren, was wiederum die Innovationskraft einschränkt. Wichtig ist deshalb, sich genügend Zeit zu nehmen, um am System zu arbeiten und nicht nur im System. Wir haben in der Verwaltung einen hohen Druck, im System effizient zu arbeiten. Stellen werden nicht ersetzt oder gar abgebaut, oder es gilt, die gleiche Stellenzahl zu behalten bei zunehmenden Aufgaben. Dadurch reduziert sich die Möglichkeit, am System zu arbeiten. Diese Herausforderung gibt es überall, sie ist aber bei uns speziell ausgeprägt. 

Wie werden Führungspersonen befähigt, um modern führen zu können?

Gosteli: Wer führen will, muss das wirklich wollen. Dann gilt das 70/20/10-Modell: 70 Prozent der Fähigkeiten erwirbt man durch Arbeiten im Alltag. Bezogen auf Führungsaufgaben bedeutet dies, beispielsweise in einer Stellvertretung, einem Projekt oder einem Verein Führungserfahrung zu sammeln. 20 Prozent der Fähigkeiten werden durch soziale Interaktion erworben, indem sich die Führungspersonen über die Herausforderungen in der Führung austauschen und sich gegenseitig inspirieren. Im Zentrum stehen also Coaching, Mentoring und Feedback. Bei den restlichen 10 Prozent geht es schliesslich darum, Basiswissen zu erwerben. Ich erlebe häufig, dass man das Gefühl hat, die gesamte Verantwortung für das Hineinwachsen in eine Führungsrolle an ein Ausbildungsmodul oder -angebot delegieren zu können. Die Ausbildungsangebote sind aber nur eine Ergänzung.

Interview: Philippe Blatter
Bild: Damian Gunc
Veröffentlicht am 27.08.2025

Seite teilen