Logo Kanton Bern / Canton de BerneBEinfo - Personalmagazin der bernischen Kantonsverwaltung

Beatenberg – das längste Dorf des Kantons?

Auf der Suche nach dem längsten Dorf des Kantons stösst man unweigerlich auf Beatenberg im Berner Oberland, das «längste Dorf» Europas. So jedenfalls steht es auf dem Ortschild geschrieben. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Beatenberg besteht vor allem aus einer Hauptstrasse, die quer zum Hang verläuft, mit toller Aussicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Von Ortsgrenze zu Ortsgrenze sind es 12 Kilometer, etwa 20 Minuten fährt man mit dem Postauto von der ersten bis zur letzten Haltestelle. Vorbei an vielen Hotels mit Jugendstil-Charme. Die Fahrt durchs Dorf kommt einem lang vor, aber reicht das für den Titel als «längstes Dorf» im Kanton Bern? Ein Anruf beim Amt für Geoinformation des Kantons Bern soll die Frage klären. Stattdessen ist die Verwirrung nach dem Gespräch perfekt: Nach welchen Kriterien solle man die Länge beurteilen? Nach der Länge der Hauptstrasse? Von Ortsgrenze zu Ortsgrenze? Luftlinie? Gibt es eine Begrenzung der Einwohnerzahl für den Dorfstatus? Melanie Wyss von der Gemeindeverwaltung Beatenberg hilft weiter: «Das mit dem längsten Dorf Europas kommt von früher. Heute werben wir eher mit der sonnigen Lage und dem Panorama – obwohl Beatenberg natürlich immer noch ein langes Dorf ist». 

Der Drache musste weg

Doch Beatenberg hat noch anderes zu bieten als seine Länge. Eine alte Geschichte besagt, dass sich im Mittelalter ein Heiliger aufmachte, in einer Höhle oberhalb des Thunersees mithilfe der Dreifaltigkeit einen bösartigen Drachen zu vertreiben. Nach geglückter Mission habe der heilige Beatus als Einsiedler in den Höhlen gelebt. Sein vermeintliches Grab wurde zur Wallfahrtsstätte und zog viele Pilgerinnen und Pilger an.

Heute sind etwa 15 Kilometer des riesigen Höhlensystems erforscht. Die Tropfsteinhöhle ist auf einer Länge von einem Kilometer für das Publikum zugänglich und kann mit geführten Touren besichtigt werden. Seit diesem Jahr gibt es keine Winterpause mehr, die St.-Beatus-Höhlen bleiben ganzjährig geöffnet.

Hoch hinaus 

Schroffe, tief abfallende Felswände und weit unten ein blauer Thunersee – so lässt sich die Aussicht vom Beatenberger Hausberg Niederhorn am besten beschreiben. Wer will, wandert in der warmen Jahreszeit von Habkern aus über das Gemmenalphorn bis zum Niederhorn. Der Weg lohnt sich allein schon wegen der Steinbockkolonie mit grossem «Jööh-Faktor». Schneeschuhtouren, ein Panorama-Schlittelweg und gut präparierte Skipisten machen das Niederhorn zu einem beliebten Ausflugsziel im Winter.

Das Bergdorf und der Dichter

Beatenberg ist der Zauberberg des Berner Oberlands, von dem selbst Workaholic Rilke tagelang nicht mehr herunterkam. «Ich hatte mich plötzlich entschieden, ein paar Tage Ferien zu machen, und nun bin ich schon seit einer Woche auf dem Beatenberg», schrieb Rilke im August 1922 an seine Mutter. Das war ungewöhnlich für den ruhelosen Dichter, dem Ferien ein Fremdwort war. In seinen Briefen schwärmte er weiter von der Ruhe im damaligen Kurort und von den Wäldern, die ihn an seine Kindheit erinnerten.

Wer aber anders als Rilke nicht Ferien in Beatenberg machen will, sollte um 22.30 Uhr das letzte Postauto nach Interlaken erwischen. Wenn man es verpasst, erfährt man am eigenen Leib, wie unendlich weit sich der Weg durch ein kleines Bergdorf anfühlen kann. Falls es also zum Äussersten kommt, bleibt man am besten für die Nacht und blickt hinunter zu den Lichtern am Ufer des Sees, bis die Wolken wieder lila sind. Und plötzlich sitzt man am Frühstückstisch und schreibt wie Rilke einen Brief an die Mutter.

Text: Salome Heiniger
Illustration: Thibaut Muller

Das ist Beatenberg

Statistikdaten
  • BFS-Nr. : 0571
  • 3803 Beatenberg
  • Fläche 29,25 km²
  • 1218 Einwohnerinnen und Einwohner (Stand 31. Dezember 2021)
  • www.beatenberg.ch

 

Seite teilen